am anderen Ende die Kindheit
von Hans-Werner Kube
unterwegs mit Mama
über die endloslange Fußgängerbrücke
und die unzähligen Gleise unter ihr
auf ihr bleibe ich stehen
und beobachte Waggons
wieder kommt einer
ohne Lok angerollt
polternd und quietschend
von einem Gleis zum anderen
nach einem geheimnisvollen Plan
auf ihr laufe ich los
wenn eine Lok naht
um in weißen Dampf einzutauchen
der im Fachwerk hängen bleibt
und mich umhüllt
und unsichtbar macht
wenn ich schnell genug bin
am anderen Ende die Kastanien
das Werktor mit Opa
und den Kollegen in Blaumännern
mit ihren entgegengenommenen Henkelmännern
und die Kindheit in Opladen
alles ist verschwunden
die Werkstätten die Henkelmänner
die Dampflokomotiven
die Henkelmännchenbrücke
Fachwerkbrücke aus Stahl
parallelgurtig mit untenliegender Fahrbahn
wie ich jetzt weiß
die Kindheit
die Eltern und Großeltern
nur noch einige Gleise sind übrig
die Werkstättenstraße
mit ihren alten Bäumen
und die Erinnerungen
© Hans-Werner Kube
Zur Projektseite: „Brücken“
In Oberhausen gibt es sie noch, die Henkelmannbrücke. Sie wurde beim Abriss der Stahlwerke und beim Bau des Centros um ein paar Meter versetzt und ist nun eine historische Fußgängerbrücke direkt neben der ÖPNV-Trasse. An dieser Stelle lag damals der „Eingang“ zum Stahlwerk in Form eben dieser Brücke, die als Fachwerk gestaltet ist und über die Schienen führt – ganz so, wie Du es im Gedicht beschreibst.