Annäherungen
von Helmut Rinke
„Wir haben uns toll unterhalten“, berichtet Dorothea begeistert, als sie mit Leonie zurückkommt, und sieht das Kind an. Unterhalten, denke ich, wo die gut Einjährige bisher über ein „da, da!“ nicht hinauskommt. Sie pflegt dann jeweils eindringlich auf etwas zu zeigen, was sie unbedingt haben muss, dessen Name ihr aber noch nicht über die Lippen kommen will. Hin und wieder bringt sie auch ein „Mama!“ heraus. Aber ansonsten bedient sich Leonie in der Kommunikation noch keiner Worte.
„Toll unterhalten?“, frage ich. „Habt ihr zwei euch was vorgemacht?“
Die Omi wendet sich lachend an die Kleine: „Wen haben wir auf dem Spielplatz getroffen?“ Leonie reißt ihre blauen Augen auf und hört aufmerksam zu. Die Antwort kommt aus dem Mund der Oma: „Ein kleiner Hund war da. Der hat ‚wau-wau!’ gemacht“. Leonie lächelt. Es sieht so aus, als habe es nur der richtigen Signalwörter bedurft, um bei ihr die Bilder vom Spielplatz wieder lebendig werden zu lassen. „Ein Hund! Wau-wau!“, verstärkt ihre Omi. Jetzt lacht Leonie wie zur Bestätigung.
„Ein Hund also. Mit dem habt ihr wau-wau gemacht. Das war ja eine tolle Unterhaltung!“, sage ich, dem Kind zugewandt, und versuche beeindruckt zu wirken.
„Nein, nein“, ergänzt Dorothea, „da war auch noch ein Mann, der hat Leonie etwas vorgesungen. Ein alter Mann mit seiner Frau. Der hat Leonie eine Weile zugeschaut, wie sie gebannt ein größeres Kind auf der Schaukel beobachtete. Als das Kind wegging, tappte Leonie auf den Sitz zu und hielt sich daran fest. Der Mann hat lächelnd zugesehen.
„Das war sicher ein richtiger Opa!“, vermute ich.
„Er wollte dem Kind auf den Sitz helfen“, fährt die begeisterte Oma fort, „und hat dann angefangen zu singen: ,Komm auf die Schaukel Luise. Es ist ein großes Plaisir …‘“
„Aha, der alte Hans-Albers-Song. Das ist bestimmt ein ganz alter Opa gewesen“, sage ich und greife singend die Liedzeilen auf. Leonie lächelt.
„Das war aber noch nicht alles“, spinnt Dorothea den Faden weiter. „Wer war da noch?“ Sie wendet sich wieder dem Kind zu. Leonie zappelt mit beiden Armen, als wolle sie erzählen, was da noch war. Die Omi hilft. Da seien noch andere Kinder gewesen, größere, sicher schon Schulkinder. „Die haben Leonie auf die Rutsche helfen wollen und ihr vorgemacht, wie lustig das sei. Ein paar Mal ist sie auch hinunter geglitten. Wir waren schon wieder auf dem Rückweg, als so ein Siebenjähriger hinter uns her gelaufen kam“, ergänzt Dorothea. „Vielleicht sieht man sich mal wieder!“, hat er gerufen.
„Wie altklug“, werfe ich ein. „Das hat der irgendwo aufgeschnappt.“
Das lässt die Omi nicht gelten. „Wieso altklug? Der Junge hatte richtig Freude an dem Spiel mit dem Kind auf der Rutsche.“
„Und wer hat dich angesprochen?“, will ich jetzt von meiner Frau wissen und schaue sie prüfend an. „Man muss nur mit einem Kleinkind oder einem Hund spazieren gehen. Das wirkt auf andere wie eine Einladung, angesprochen zu werden.“
Sie kontert: „Wenn du wild auf Kontakte bist, dann kannst du ja beim nächsten Mal Leonie durch den Park schieben. Da fliegen dir bestimmt alle netten Damen zu.“
„Keine schlechte Idee“, sage ich. „Aber viel interessanter ist es doch, einmal einen richtigen Feldversuch zu machen, was denn anziehender ist: ein drolliges Kleinkind oder ein putziger Hund.“ Dorothea verzieht den Mund.
„Wir machen das mal“, schmücke ich die Idee aus, „einer nimmt Leonie und der andere leiht sich Paula aus, Lilos kleinen Terrier. Dann spazieren wir getrennt durch den Park und passen auf, wer die besseren Brücken baut, Leonie oder der Hund.“
Dorothea lacht: „Vielleicht kommt es auch darauf an, wer den Hund und wer Leonie nimmt!“
© Helmut Rinke
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