Das Bauhaus lebt immer noch – auch bei uns
Impulse noch und noch aus Hagen
Von Horst Kniese
Offen gesagt: Im Bauhaus haben sich Kunst und Politik und auch Kommerz fruchtbar vermischt und ergänzt. Der Anstoß kam von ganz links. Die Bauwirtschaft sah ihre Chancen. Sie feierte mit den totalen Verzicht auf alle Schnörkel der Vergangenheit. Ihr Jubel hatte natürlich wirtschaftliche Motive. Das drückte sich auch in Gewinn und Verlust aus. Das alles war ein explosives Gemisch, deren Knall Kunstgeschichte wurde.
Der erste „Hagener Impuls“ war ein Knällchen davor, das auch die Kunstgeschichte berührte. Sie war eine in der Euphorie intime Erinnerung in Kreisen der aufgeblühten Moderne mitten in der Sturmflut der Kunst. Geschichtlich lag er präzise nur eine Handbreit vor dem Ausbruch dieser geistigen Revolte, die sich bald in globalen Dimensionen sonnte. Die Kunstbewegung wuchs zur Epoche des Volkes und breitete sich vor allem in die Klassenzimmer der Kunstpädagog(inn)en aus.
In Hagen gibt es eine Bauhausfamilie über zwei Generationen hinweg, die fast jegliches Rumoren des geistigen Ringens genossen und erlitten hat.
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Bauhauskünstler Heinrich Brocksieper entwickelte wenig später, vom Sekundenzeiger der Bauhaus-Revolution erfasst, eine Poesie der Werkzeuge und des Materials dieser nervösen Kunstepoche. Bauhausgedanken entwickelten sich nicht mehr in Ateliers – das wollte er wohl sagen –, sondern in Werkstätten. Da gewannen auf einmal Hämmer und Zangen edlen künstlerischen Glanz.
Faszinierend!
Ein Zeitruck später: Utz Brocksieper ist von der Familie übrig geblieben in seinem efeuberankten elterlichen Haus in der Alleestraße in Altenhagen, wo er und seine verstorbene Frau Hanna eine mit viel Technik und Intelligenz konstruierte „Bauhausfiliale“ pflanzten. Das war und ist Bauhaus-Aktualität von heute. Utz hatte immer schon einen guten Namen. Er war und ist im Wechsel Ehrenvorsitzender und Vorsitzender des Westdeutschen Künstlerbundes in Hagen und Bochum. Er reiste zum Bauhausjubiläum nach Dessau, wo auch die Kanzlerin sprach. Er hat seine Bauhaus-Tätigkeiten immer als überörtlich angesehen.
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Die Dame Dr. Herta Hesse-Frielinghaus, Chefin im Osthausmuseum, hat alle Bauhausszenen lauschend verarbeitet. Sie sah den neuen Bund als Reservat für zukünftige Osthauspreise an, in einer Zeit, als sämtliche andere Kunstmuseen in Westdeutschland noch in Trümmern lagen. Das Osthausmuseum in der Villa Post war im Luftkrieg heil geblieben. Im Bund sammelte sich ihrer Meinung nach die etwas jüngere Kunstelite. Ihr Rezept hatte unbeschreiblichem Erfolg.
Abenteuer waren immer in der Szene dabei. Um Heinrich Brocksieper und dem, was „Hagener Impuls“ genannt wurde, hat sich ein schroffer Abgrund zu der bedeutendsten geistigen Revolte in der modernen Kunst fast vulkanisch aufgetan, die Gropius sachlich Bauhaus nannte. Das treffende Wort „Hagener Impuls“ war vom Bauhaus aus nur noch eine respektvolle Episode der Historiker. Der treffende Begriff meinte nur die eine kleine, aber wichtige Phase des speziellen Sieges der Moderne in Hagen, noch bevor das Bauhaus mit dem ganzen Schnörkel des Historismus aufräumte: einschließlich der nicht mehr ganz schnuckeligen Reste des Jugendstils. Der Hagener Impuls markierte präzise jene moderne Substanz der Nüchternheit, die sie zu architektonischen Kostbarkeiten reifen ließ. Heute sind sie „Bauhaus-Vorläufer“.
Diese feinsinnige Betrachtung war in vielen Gesprächen und Briefen ebenfalls längst von der Macht des Fortschritts überwältigt worden. Die neue Zeit der Kunst wurde mit Pauken und Trompeten schon gefeiert, als die Gesprächsfäden zwischen Hagen und Weimar, zwischen Osthaus und Gropius nicht abrissen. In vergilbtem Papier sind die im Osthaus-Museum erhalten geblieben.
Ein Glücksfall für Hagen: Dr. Birgit Schulte, die unbestechliche Kustodin, hat die wissenschaftliche Lektüre vollendet. Sie hat daraus, das ist gewiss, für Hagener Honig gesaugt. Sie liefert in Dosen unermüdlich die wichtigen Impulse, die Hagen in Weimar
zu säen begann. Da bahnt sich Freude an. Für sie, den Museumsleiter und den OB produziert sie für den 6. September 2019 die Substanz der Funken, der die Triumphe sprühen lässt, in einer respektablen Ausstellung im Osthaus-Museum. „Kultur-Hagen“ bekommt einen Feiertag fast wie geschenkt. Der Katalog sollte zum Bestseller werden. Da sind sie, die Belege für den Triumph. Hagen darf sich ungefährdet „Vorläuferin“ des Bauhauses nennen. Fast nebenbei nannte und vervollständigte sie in einem Epilog die Reihe der Hagener Bauhausschüler: Reinhard Hilker, Heinrich Brocksieper. Erna Mayweg, August Agatz,
Albert Buske und Max Gebhard. Das Gesamtwerk, zusammen mit Reinhold Happel verwirklicht, erweist sich auch mit den peinlich genauen „Anmerkungen“ als Fundgrube alter und neuer Erkenntnisse über Bauhaus und „Umgebung“.
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Hagen wird auf mache Zeugen und Förderer des Bauhauses stolz sein können.
- Reinhard Hilker, der taubstumme Wundermaler, der die originellsten Fabelwesen zauberte, bleibt ein Kunstereignis. Er wurde vom Künstlerehepaar Karel und Eva Niestrath ermutigt, sie wieder zu zeigen. Die Dachdeckerverwandten haben viel Förderung beigesteuert. Sogar das Folkwang-Museum in Essen gratulierte.
- Willi Lammert, der spätere Vorzeige-Plastiker der DDR, Revolutionär, lebhafter Geist, schuf die eindrucksvollste Osthausbüste. Er gehörte dem Freundeskreis um Osthaus im Kutscherhaus des Hohenhofs an und schuf die wichtigsten Plastiken der KZ-Mahnmale im Osten.
- August Agatz, Bildhauer und Kunstschmied, war „Bauhäusler“. Der überzeugte Kommunist saß wegen Hochverrat im Zuchthaus, litt im berüchtigten Strafbataillon 999 und starb in britischer Kriegsgefangenschaft am 10. April 1945 in Leros in Griechenland fern von Hagen und wurde nicht ausreichend beachtet.
- Die Hagenringpräsidenten Karl Josef Steden, Charly Müther und Hans Slavos (umgekehrte Reihenfolge) waren Bauhausfreunde. Mit großen Verdiensten. Sie traten mit Mut, tiefer Zuneigung und klugen Schachzügen für Bauhausgedanken ein. Ihre wärmende Nähe hüllte die modernen Künstler ein.
- Dr. Herta Hesse-Frielinghaus, Herrscherin des Osthausmuseums von 1945 an, war auch für das Bauhaus in Hagen Schlüsselinstanz. Sie war nun mal die „Mutter“ und Architektin der ganzen Museumslandschaft der modernen Kunst in Hagen. Sie schlug interessante Schneisen.
Sie alle streuten spitzfindige Pointen in den Kochtopf des Weimarer Ideen-Panoramas und handelten im und nach dem Gropius-Anfang vom 1. April 1919, ließen sich fröhlich treiben vom Bauhausfieber. Der Erfinder des Bauhauses machte seine Weimarer Werkstätten zum Markenzeichen für moderne Kunst und Architektur.
Die stolze Bilanz der Euphorie in den Bauhausideen hat Lücken, ist aber auch mit triumphalem Feuerwerk belohnt worden. Orden gibt es nicht dafür, aber Notizen in der Kunstgeschichte. Sie leuchten wie Sterne, die sich in Juwel verwandeln. Auch Schmuckstücke bedürfen der Pflege. Dafür wartet ein übervoller Sack an Aufgaben. Ein spezielles Spendenkonto öffnet sich heißhungrig dafür. Das ist ein Appell.